GRACE BUMBRY "What a lucky girl I am..."
Review

 
Neue Zürcher Zeitung
© 13. März 1997
 
Blick auf den Bildschirm
Kraftvolle Aussage - Grace Bumbry
azn. Ganz klar, ein Film über die Operndiva Grace Bumbry muss mit ihrem
sensationellen Début im Bayreuther Festspielhaus beginnen. 1961 und 1962
hatte sie dort als erste farbige Sängerin die Venus in Richard Wagners
«Tannhäuser» gesungen. Das trug ihr den Beinamen «schwarze Venus» ein. Und
der Dirigent Wolfgang Sawallisch betont rückblickend, dass in der Presse
1961 nicht eine Stimme laut geworden sei, die sich an der Hautfarbe der
Sängerin gestossen hätte: «Die stimmlichen Voraussetzungen waren so
sensationell, dass man an dieser kraftvollen Aussage gar nicht
vorbeikonnte.»
 
Im vergangenen Januar konnte Grace Bumbry ihren sechzigsten Geburtstag
feiern. Im Hinblick darauf hat das ZDF ein Porträt der Sängerin von Georges
Gachot mit dem Titel «Ich bin ein Glückskind» produziert und - wie üblich -
zu unmöglicher Zeit, nach Mitternacht, am letzten Sonntag erstmals
ausgestrahlt.
 
Der Erzählfaden folgt mehr oder weniger dem Leben und der Karriere von Grace
Bumbry. Gachot zeigt ihre Wurzeln in der «Black Church» ihrer Geburtsstadt
St. Louis auf und tönt Schwierigkeiten an: Die Musikschule von St. Louis
weigerte sich, die Fünfzehnjährige aufzunehmen - wegen ihrer Hautfarbe. Zwei
Jahre später verliess sie ihre Heimatstadt und studierte in Boston, Chicago
und schliesslich in Santa Barbara, Kalifornien, bei der legendären Sängerin
und Pädagogin Lotte Lehmann.
 
Gefördert wurde die Hochbegabte durch zwei mäzenatische Familien, welche ihr
das ganze Studium bei Lehmann finanzierten. Sogar ein Dokument von Lehmann
selber ist zu sehen: «Die ist mein grosser Stolz, natürlich. Ich sage gar
nicht, dass ich das gewesen bin, ich hab' geholfen. Man kann ein grosses
Talent nur erwecken, man kann es nicht kreieren.» Es folgen die Débuts in
den Opernzentren der Welt mit den grossen Mezzosopran-Rollen: als Eboli
(«Don Carlos»), Amneris («Aida»), Carmen. Herbert von Karajan holte sie als
erste Carmen an die Salzburger Festspiele; die Zusammenarbeit mit dem
Maestro, der selber auch die Regie führte, war offensichtlich nicht ganz
unproblematisch, aber erfolgreich. O-Ton Bumbry: «Vielleicht muss man Krach
haben, um einen grossen Erfolg zu haben, vielleicht . . .»
 
Zur Sprache kommt, wie Grace Bumbry sich mehr und mehr auch grosse
Sopran-Rollen erarbeitete, wie die Turandot, Tosca, Lady Macbeth. Und sie
stellt unmissverständlich klar: «Man macht keinen Stimmfachwechsel. Es ist
da oder nicht, man kann seine Stimme nicht zu etwas zwingen, was sie nicht
machen mag. Jede Stimme hat ein Ende und einen Anfang. Man muss nur zuhören,
sich damit vertraut machen.» Die grosse Stärke des Films ist indessen seine
Poesie, die Subtilität, mit der die Bilder, wo sie Gachots Handschrift
tragen, auf die Musik geschnitten sind. Etwa wo wir in Gedanken mit der
jungen, willensstarken Sängerin St. Louis verlassen, um in Santa Barbara
anzukommen.
 
Uns in der Schweiz hätte natürlich auch interessiert, etwas über ihr
Bühnendébut von 1958 am Stadttheater Basel und ihr Engagement an der
dortigen Bühne zu erfahren, doch dafür fand sich kein Platz. Hingegen
tauchen Sätze auf wie: «Es ist ein grosses Glück für die Musikwelt, dass
Ausnahmetalente wie Grace Bumbry ihr ganzes Leben der Musik widmen und so
durch ihre Interpretationen gewisse Partituren verewigen.» Das klingt wie in
bunten Opernmagazinen und sagt inhaltlich nichts aus. Doch glücklicherweise
bleiben solche Plattheiten selten. Gachot lässt um so mehr Bumbrys Stimme
und ihre Persönlichkeit, ihre Bühnenpräsenz in einigen ihrer Paraderollen
wirken. Als Eboli in Giuseppe Verdis «Don Carlos» («Nei giardin del ballo»).
In der umwerfend gesungenen Arie der Tosca «Vissi d'arte, vissi d'amore» von
Giacomo Puccini. Als Verdis Lady Macbeth mit «Vieni d'affretta». Das sind
Dokumente, die für sich sprechen und zeigen, dass hier nicht nur eine
unglaubliche Stimme, sondern ein ganzer Körper, eine Persönlichkeit von
grossen schauspielerischen Fähigkeiten jedes Detail mit Emotion erfüllt, um
die zentrale Aussage einer Stelle bis in die hinterste Stuhlreihe eines
Opernhauses zu tragen.
(ZDF, 11. Mai)
 
© NZZ, Alfred Zimmerlin
                
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