- Rodion
Schtschedrins russische Glut
- Review
-
- Neue
Zürcher Zeitung
- ©
15. Oktober 2000
-
- Blick auf
den Bildschirm
-
- Er
ist ein Russe, durch und durch, mit Pathos und Stolz.
Das ist aus allen Aussagen des Komponisten Rodion
Schtschedrin herauszuhören, zum Beispiel:
«Musik ist das Einzige, was uns verständlich
macht, warum wir sterben müssen und warum es den
Himmel, Tag und Nacht, Sommer und Winter gibt. Nur
Musik ist in der Lage, dies zu erklären; sie
erläutert dir beständig, warum du auf dieser
Erde bist.» Oder: «Musik, gute Musik,
klassische Musik ist in der Lage, die Seele zu
erziehen, so dass das Wesen nicht so aggressiv ist.
Wir müssen unsere Seele wirklich erziehen.»
Russisch feierlich, mitunter fratzenhaft, emotionell
ganz reich klingt auch Schtschedrins Musik - gleich zu
Beginn des für die Rubrik «Klanghotel»
programmierten Porträtfilmes von Georges Gachot.
Man spürt eine elektrisierende Atmosphäre,
denn es geht um die Uraufführung eines neuen
Violinkonzerts mit ganz grossen Interpreten.
Stattgefunden hat sie im Juli 1998 in der Zürcher
Tonhalle im Rahmen der Zürcher Festspiele. Solist
war der Geiger Maxim Vengerov, und das
Tonhalle-Orchester Zürich wurde von Mariss
Jansons dirigiert.
- Das
«Concerto Cantabile» sei gleichsam eine
ganze Lebensgeschichte, sagt Vengerov. Und
Schtschedrin selber nennt es ein «Tagebuch meiner
Gefühle». Damit steht er in einer
Traditionslinie mit Tschaikowsky, Prokofjew,
Schostakowitsch. Die Linie ist aus seiner Musik mehr
als deutlich herauszuhören. Schtschedrin hat das
Werk 1997 dem phantastischen Geiger gleichsam auf den
Leib komponiert. Es sei das erste Mal, dass ein so
grosser Komponist für ihn geschrieben habe, meint
Vengerov. Er habe schon gespürt, dass es ein
besonderes Werk sei, als er die ersten Noten sah.
Schtschedrin mache phantastische technische Dinge, die
er speziell wegen seiner Fähigkeiten schrieb. Vor
allem der Gesang mit seinen endlosen Linien und einem
unglaublichen Farbenreichtum liegt diesem Geiger, der
gerade dafür schier unendliche Gestaltungsmittel
zur Verfügung zu haben scheint. Vengerov stellt
fest, dass er noch nie zuvor ein so schweres
Stück für die rechte, den Bogen
führende Hand gespielt habe. Und man müsse
dafür eine enorme geistige Kraft mobilisieren.
Dass er dies tut, merkt man; er spielt das enorm
schwierige Werk bereits anlässlich der
Uraufführung auswendig und mit einem
unglaublichen Engagement. Ebenso wird aus den kurzen
Filmsequenzen, in welchen Vengerov und Jansons in
Proben mit dem Orchester zu sehen sind, sofort
deutlich, wie genau die Vorstellung des Dirigenten von
der Partitur ist und welch tiefen Zugang der in St.
Petersburg gross gewordene Lette zu dieser Musik hat.
Das sind eindrückliche Momente.
- Die
erste Viertelstunde von Gachots Film ist stark. Aus
der Musik des «Concerto Cantabile»
erfährt man mehr über den Komponisten als
aus allen Aussagen über ihn, die später im
Film gemacht werden. Und vielleicht wirkt diese Musik
so souverän, weil Schtschedrin hier
Virtuosenmusik nicht für sein eigentliches
Instrument, das Klavier, komponiert hat, sondern
für die ihm ferner liegende Violine. Im Wissen
darum, dass der Solistenpart von einem Ausnahmemusiker
gespielt werden wird. In dieser ersten Viertelstunde
werden auch die meisten wirklich spannenden Aussagen
über Schtschedrin und seine Musik gemacht. Danach
rutscht der Film eher in die üblichen Muster
eines Komponistenporträts.
- Die
Biographie des 1932 geborenen Komponisten wird kurz
resümiert, mit anregenden Anekdoten gewürzt.
Häppchenweise wird dann das Publikum mit Musik
des Russen bekannt gemacht. Man sieht ihn selber als
Pianisten auftreten, mit seinem «Basso
Ostinato» von 1960 oder - zusammen mit Nicolas
Economu, Paul Gulda und Chick Corea - in der
«Hommage à Chopin» (1983) für
vier Klaviere. Ein Ausschnitt des vierten
Klavierkonzerts (1991) wird mit Olli Mustonen gezeigt,
ein Ausschnitt der Cellosonate 1996 mit Frans
Helmerson und dem Komponisten am Klavier.
Selbstverständlich wird die Bedeutung
Schtschedrins als wichtiger Ballettkomponist
unterstrichen, denn gerade dazu hat er eine besondere
Beziehung: Er ist mit der Ballerina Maya Plissetskaya
verheiratet, und sie hat meist seine grossen Werke wie
«Anna Karenina», «Carmen-Suite»,
«Die Dame mit dem Hündchen», «Die
Möwe» uraufgeführt.
- Die
Ausschnitte regen an, sich nach dem Violinkonzert
ausführlicher mit dem Komponisten
auseinanderzusetzen. Weniger verständlich ist,
warum zwei-, dreimal Lorin Maazel Nichtssagendes zum
Besten geben muss. Intelligenter ist, was Mischa
Maisky zu sagen hat. Aber für den Film
nötig? Am Ende kehrt Gachot zum «Concerto
Cantabile» zurück, zur Uraufführung in
der Zürcher Tonhalle. Sofort ist die Faszination
wieder da. Gerne würde man davon noch mehr sehen.
- Neue
Zürcher Zeitung, Ressort Fernsehen, 14. Oktober
2000, Nr.240, Seite 71
-
- ©
NZZ, Alfred Zimmerlin
|